Maß und Mitte

#837 Diese Republik dreht langsam durch. „Singen gegen Rassismus“ titelt spiegel.de; viel armseliger geht es nimmer. Ein Rassist oder einer, der auf dem Wege ist, ein Rassist zu werden, läßt sich nicht durch öffentlich gesungene Lider davon abhalten. Im Gegenteil.

Wer unbedingt öffentlich singen will, der mag zu den Fischer-Chören gehen. Viel Vergnügen dabei; wem’s gefällt, der ist dort wohl gut aufgehoben.

Es kann aber nicht hingenommen werden, daß ein außerordentlich drückendes Problem lediglich mit einer sinn- und hilflosen Gefühlseruption bedacht wird, als seien wir alle drei Jahre alt.

Die in diesem Zusammenhang von vielen erlebten Gefühle müssen im Sinne des Wortes be-dacht werden, bevor sie zu Handlungen werden. Und dann ergebnen sich ganz schnell einige Erkenntnisse. Die mag man ein wenig verschieden gewichten, je nach dem, wie man selbst politisch aufgestellt ist. Das macht gar nichts. Aber dem Grunde nach ist folgendes wahr:

  • Wenn Menschen vor Krieg und Bürgerkrieg fliehen, dann ist ihnen zu helfen. Ob man dies tut, weil man der jüdisch-christlichen Wertegemeinschaft angehört oder weil man so etwas wie ein Herz im Leib hat, ist dabei ziemlich einerlei.
  • Dieses Helfen kann durch Aufnahme geschehen oder durch Beendigen der Fluchtursache, durch vorübergehende oder dauerhafte In-Schutz-Nahme, vulgo Asyl, durch Unterstützung dritter Staaten, durch bessere Entwicklungsarbeit oder auch dadurch, daß die westliche Welt – wer denn sonst? – nicht weiter zuschaut, wie Menschenschlächter Menschen schlachten. Es ist jedenfalls nicht der ein Verweigerer vor dem Elend der Welt, der auch andere Maßnahmen als Asyl vorschlägt.
  • Wir dürfen die Begriffe nicht verwechseln. Ein Flüchtling ist etwas anderes als ein Asylant, ein Einwanderer wieder etwas anderes.
  • Wir sollen auch nicht lächerlichen Parolen Gehör schenken. Der Fachkräftemangel in Deutschland wird, wenn es ihn überhaupt gibt, nicht dadurch behoben, daß wir etwa ein Drittel Analphabeten ins Land holen.
  • Wir haben Werte, etwa die Gleichstellung von Mann und Frau oder Rechtsstaatlichkeit oder die Trennung von Staat und Religion. Die haben wir nicht ins Grundgesetz geschrieben (und uns teilweise jahrhundertelang erarbeitet), um sie durch die Aufnahme Hunderttausender, denen das oft nichts bedeutet und die sich oft weigern, einer Frau auch nur die Hand zu geben, wieder zu kassieren.
  • Wir sollen Offensichtliches sehen. Natürlich sind unter denen, die hierher kommen, welche, die im Auftrag von IS, Hamas oder sonstigen Mördern hierher kommen, um hier zu morden und den islamischen Staat (oder was sie dafür halten) zu errichten. Daß sie keine Aussicht auf Erfolg haben, heißt nicht, daß sie nicht verhetzt und böse genug wären, um es zu probieren.

Es fängt im Kleinen an und geht im Großen schief. Wenn Schulkinder mal ein, zwei Wochen auf den Sportunterricht verzichten müssen, weil in der Turnhalle Menschen untergebracht sind, dann ist das natürlich hinnehmbar. Wenn aber dauerhaft Sportunterricht abgeschafft wird, dann ist das nicht so gut. Freilich: Man soll nicht „Menschenleben retten“ gegen so etwas Simples wie Sportunterricht aufrechnen. Überhaupt ist dieses Aufrechnen etwas, was man vermeiden soll.

Es ist doch so, daß die Aufnahme der Flüchtlinge hierzulande auch bedeutet, daß wir es den Kriegsherren dort ermöglichen, ihren Krieg weiter zu führen. Zu uns kommen auch diejenigen, die vielleicht vor allem in der Lage wären, den Krieg dort zu beenden.

Es ist nicht gut, wenn bei etwa 40.000 Ankommenden alleine in München alleine an einem Wochenende in Deutschland alle 25 Tage eine Stadt der Größe Nürnbergs entsteht. Unsere europäischen Nachbarn schauen schon auf uns und fragen sich und uns, warum die Flüchtlinge nicht nur aus dem Kriegsgebiet heraus, sondern vor allem nach Deutschland (und Schweden) hinein wollen.

Vor den Morden des IS, vor den Schergen Assads, vor dem Chaos in Libyen sind die Menschen auch schon sicher, wenn sie diese Länder, diese Regionen verlassen haben – nicht erst dann, wenn sie am Münchner Hauptbahnhof sind. Das muß man differenzieren.

Differenzieren ist ja nicht das unwichtigste Ergebnis von Intelligenz. Intelligenz aber ist nicht alleine wesentlich; es kommt auch darauf an, daß sie nicht emotional defekt ist. Will sagen: Einer mag an sich intelligent sein; das hilft aber nicht wirklich weiter, wenn er durch irgendwelche persönlichen Eigenschaften am Denken gehindert wird.

So wie die Ersteller des Plakats, das an der Desi in Nürnberg hängt. Es ist schon von einem merkwürdigen Unfrieden mit unserer Gesellschaft gekennzeichnet. Natürlich gibt es den Flüchtling, dem wir gefälligst zu helfen haben – und den gibt es reichlich. Wer aber der nun stattfindenden Völkerwanderung zujubelt und zu ihrer Ausweitung („bring your families“) aufruft, der zeigt eine merkwürdige Verachtung dieser Gesellschaft gegenüber, der will diese Gesellschaft radikal verändern – und man muß nicht nur fragen: warum?, sondern auch: wohin denn?