Gutmensch? Gutmensch!

#917 Zuweilen ahnt man, wie Moses sich gefühlt haben muß, als er mit den zehn Geboten vom Berg hinabstieg und seine Leute ums goldene Kalb tanzten. Die Situation war falsch, nichts paßte zu nichts, alles war ein großes Durcheinander. So ähnlich fühlt man sich manchmal auch im ersten Moment, wenn man plötzlich aus einem Traum erwacht.

Worum geht es? Eine angebliche „Jury“ wählt ein Wort und verurteilt es. In der Zeitung stehen zwar auch heute wieder viele Buchstaben und Worte, aber weder NN noch NZ haben es für nötig befunden, den Leser darüber zu informieren, wer denn diese „Jury“ ist, woher sie ihre Weisheit beziehen, wie der ganze Laden sich nennt und welche Legitimation er hat. Ist es Dieter Bohlen oder Heidi Klum, sind es RTL oder PRO7? Deutschland sucht den Superstar, Deutschland sucht das Schimpfwort?

Der eine oder andere mag die Entscheidung gut finden; hier wird sie, ganz sanft formuliert, für nicht ganz so gut, nicht ganz so klug und nicht ganz so durchdacht gehalten. Oder, um es sicherheitshalber doch ein wenig deutlicher auszudrücken: für saublöd. Es entsteht der Eindruck, als würde ein Veganer eine Schriftenreihe über „Die Hausmacher Stadtwurst in ihrer fränkischen Vielfalt“ herausgeben wollen. Nicht, daß die Damen und Herren der unbekannt gebliebenen Jury kein Sprachwissen hätten. Sie wissen gewiß die zweite Lautverschiebung gut zu erklären (die hat mit dem Unterschied etwa von „Deich“ und „Teich“ zu tun, aber das gehört nicht hierher), aber im Dschungel der möglichen Mißverständnisse scheint man in der „Jury“ die klare Sicht verloren zu haben. Das Wort „Gutmensch“ jedenfalls wird aktuell ganz anders dargestellt, als es denn gebraucht wird.

Ein Gutmensch ist nicht beispielsweise einer, der in Flüchtlingsunterkünften hilft, sondern einer, der allen, die das nicht tun, dies vorwirft. Ein Gutmensch ist keiner, der an das Gute glaubt, sondern einer, der vor lauter Glauben die Realität nicht mehr sieht. Und vor allem: Ein Gutmensch ist einer, der andere zu dem zwingen will, was er für gut hält.

Ein Gutmensch ist nicht der, der seine eigenen Vorstellung von Richtig und Falsch hat, sondern einer, der diese Vorstellungen als weltweiten Standard mindestens von den Vereinten Nationen verteidigt wissen will.

Denn eines braucht der Gutmensch wie die Luft zum Atmen: den Glauben daran, daß er qua höherer Moral der bessere Mensch ist.

Wir aber, die wir noch nicht ganz vergessen haben, was der Mensch in Wirklichkeit ist, stehen vor dem Gutmenschen ungefähr so wie vor einer gleißenden Fata Morgana in der Wüste: recht ratlos.

Der Gutmensch ist einer, der den böseren Teil der Wahrheit gerne unterschlägt. So ist beispielsweise ein Gutmensch, wer in der Berichterstattung in Zeitungen auch dann Straftäter nicht näher bezeichnen will, wenn dies für das Verständnis wesentlich ist – und der dann dadurch das Gegenteil dessen bewirkt, was er will: Unvoreingenommenheit schwindet, Vorurteile wachsen.

Der Gutmensch ist einer, der eine der wichtigsten Erkenntnisse der Moderne nie verstanden hat: Der Zweck heiligt eben nicht die Mittel. Der Gutmensch ist illiberal: Er meint, nur weil er einen angeblich besseren Zweck verfolge, dürfe er schon das eine oder andere verlangen. Ein recht harmloses Beispiel für eine Gutmenschen-Aktion ist der „Veggie Thursday“, der zwangsweise fleischlose Donnerstag in städtischen Kantinen, der im letzten Moment verhindert werden konnte: Der Gutmensch hält Vegetarismus für die höhere Lebensform, also haben alle anderen das gefälligst wenigstens einmal pro Woche so zu machen, wie es ihm paßt. Punktum. Das ist ein Gutmensch.

Oder im EU-Parlament: Da beschließen Gutmenschen eine Kennzeichnung von israelischen Produkten, die aus der Westbank stammen. Dies ist eine Gutmenschenaktion, weil das gleiche Parlament zu Produkten aus Nordzypern (türkisch besetzt), einigen Gebieten der Ukraine (russisch besetzt), Tibet (chinesisch besetzt) und so weiter schweigt. Auch die Bigotterie nämlich ist eines der Merkmale des Gutmenschen.

Der Gutmensch ist auch einer, dessen Gedankentiefe zuweilen überschaubar bleibt – nicht aufgrund intellektueller Defizite, sondern aufgrund des Gefühls moralischer Überlegenheit. Der Gutmensch an sich findet das Auto böse und will Kinder schützen – und beides auf verquere Art und Weise. Denn Kinder sieht er am besten dadurch geschützt, daß es keine Autos mehr gibt oder wenn, daß sie auf der Münchener Straße noch ungefähr fünf Stundenkilometer schnell sein dürfen.

Der Gutmensch phantasiert sich einen Bürger herbei, der ständig nach ethischer Vervollkommnung strebt und sieht den Staat als moralische Besserungsanstalt. Im übrigen ist er in aller Regel humorlos, frei von Selbstkritik oder gar Selbstironie und im Kern ein Feind der Freiheit: Er weiß es besser, und alle müssen so wie er…

Deswegen und in diesem Sinne: Dieser Blog und sein Betreiber lächeln noch einmal über die Entscheidung jener „Jury“, schieben sie dahin, wohin sie gehört, und warten fröhlich auf die nächste Gelegenheit, einen Gutmenschen schreibend aufzuspießen. Es wird nicht lange dauern, wetten?

 

Das Bild zeigt den entfesselten Gutmenschen Savonarola.